Schluss mit der Ignoranz!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hört endlich auf, das gesprochene und das geschriebene Wort gegeneinander auszuspielen!

Boxring - als Symbol für unterschiedliche Meinungen

Was kann Text, was nicht? Darüber wurde in den letzten Wochen rege diskutiert. Gleich zwei CEOs großer Unternehmen hatten Brandbriefe an ihre Belegschaft gesandt und damit die Frage aufgeworfen: Lässt sich über Text führen?


Nein, sagt Stefan Wachtel. Der Executive Coach und promovierte Sprechwissenschaftler schreibt in seinem Artikel „Management per Hirtenbrief“ im managermagazin:

Schrifttexte können nur informieren und - wie in diesen beiden Fällen - aufrütteln. Dafür haben sie ihre Berechtigung. Aber Beziehungen herstellen, eben das, was gute Führung ausmacht, das schafft kein Brief.

Mich machen diese Sätze wütend. Denn sie sind falsch. Und schädlich.

Muss ich wirklich das Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun aus der Schublade ziehen? Die vier Seiten einer Nachricht - Information, Selbstkundgabe, Beziehung und Appell - gelten selbstverständlich auch für die schriftliche Kommunikation: Sie ist niemals nur Information.

 

Führungskräfte müssen Beziehung nicht erst herstellen

Führungskräfte und Mitarbeiter*innen stehen durch ihr Arbeitsverhältnis bereits in einer Beziehung. Beide Seiten haben Erwartungen an die andere, die erfüllt oder enttäuscht werden können. Eine Beziehung „herstellen“ müssen Marketer (zu potentiellen Kunden) und PR-Leute (zur Öffentlichkeit) – also genau die, die viel schreiben.


Was Wachtel wohl meint: Es braucht eine emotionale Verbindung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter*innen, damit ein Appell zu einer Handlung führt. Und ja: Diese ensteht im persönlichen Kontakt schneller und nachhaltiger. Deshalb sollte eine Führungskraft so oft wie möglich direkt kommunizieren. Vor allem in Krisensituationen. Brief und E-Mail muss sie deshalb aber nicht meiden.


Führungskräfte sollten über ihre eigene Wirkung hinausdenken

Ihre primäre Aufgabe ist, ein Klima zu schaffen, in dem Eigenverantwortung und Zusammenarbeit gedeihen. Der Laden soll auch laufen, wenn sie nicht da sind!

Der direkte Kontakt ist für Führungskräfte ein kommunikativer Baustein: Sie müssen auch dafür sorgen, dass Ziele klar formuliert und Entscheidungen nachvollziehbar sind und der Austausch aller Mitarbeiter – über Hierarchiestufen hinaus – offen und konstruktiv läuft. So entsteht die Bereitschaft, Änderungen mitzugehen.


Hier spielt das Social Intranet eine wichtige Rolle – ein Medium, in dem vor allem geschrieben wird. Noch sind die Intranets deutscher Unternehmen nur begrenzt „social“ und ein reger, offener Austausch findet bisher eher in kleinen, geschlossenen Gruppen statt.


Mitarbeiter*innen beteiligen sich jedoch viel mehr an Diskussionen, wenn auch die Führungskräfte aktiv dabei sind. D. h. wenn Führungskräfte Beiträge der Mitarbeiter konstruktiv kommentieren oder hinterfragen und eigene Beiträge mit Mitarbeitern ergebnisoffen diskutieren. Diese Zuwendung, für jeden zu sehen und zu lesen, wirkt auf die Mitarbeiter enorm motivierend.

Die Führungskraft festigt damit nicht nur die Beziehung zur der jeweiligen Person, sondern schafft damit auch das Klima, das in Krisenzeiten einen Brandbrief möglich macht.


Text hat keine Lobby

Da selbst Experten den Führungskräften einflüstern, Text sei nur "Information", ist es kein Wunder, dass sie in E-Mails und im Intranet anders agieren: Manche Führungskräfte kommunizieren per E-Mail knapp und unterkühlt, manchmal ohne Anrede, aber mit einem Paket an PDFs. Das Intranet wird als reines Infotool für die Belegschaft verstanden. Und obwohl es so viel mehr könnte, nutzen viele Führungskräfte das Intranet für Verlautbarungen oder zum "Imageaufbau".

So entsteht tatsächlich keine Bindung über Text. Ein Brandbrief wird in diesem Klima höchstwahrscheinlich Frust und Angst erzeugen, aber nicht die geforderte Dynamik.


Wie gefrustet die Mitarbeitenden über manchen Umgang in der schriftlichen Kommunikation sind, bekomme ich in meinen Trainings mit. Die Teilnehmenden erzählen mir aber auch von den positiven Erfahrungen: Von Führungskräften, deren Kommunikation sie motiviert, deren Meinung sie hoch schätzen, denen sie vertrauen. Obwohl sie diesen Personen noch nie persönlich begegnet sind.


Warum werten so viele den Text ab?  Sie scheuen wohl davor zurück.

Wer mit einer E-Mail oder im Brief Nähe erzeugen will, kann auch Distanz erzeugen. Was motivieren soll, kann enorm demotivierend wirken. Das wissen auch Führungskräfte und kaufen sich für wichtige Texte deshalb Profis ein. Diese müssen das Unternehmen und das dort herrschende Klima jedoch sehr gut kennen, um einen guten Text schreiben zu können.

Und: So wie der Redenschreiber darauf angewiesen ist, dass der Redner den Text wirkungsvoll vorträgt, so hängt der Erfolg eines Briefes oder einer E-Mail von der Glaubwürdigkeit des Absenders ab. Und diese Glaubwürdigkeit erwirbt sich die Führungskraft nicht durch die persönlichen Gespräche, sondern nur durch ihre tägliche schriftliche Kommunikation.
Die digitale Kommunikation ist ein wichtiges Führungsinstrument!

Führungskräfte sollten lernen, es zu beherrschen. Dann werden sie auch keine "Berge an PDFs" mehr versenden und sich nicht mehr hinter der Schrift verstecken, wie Wachtel in seinem Artikel zurecht kritisch anmerkt. Erfolgreich ist nur der, der beide Kanäle klug einsetzt und nicht einen der beiden geringschätzt.

Ania Dornheim

ist Partnerin bei Textwende und seit über 20 Jahren als Kommunikationsberaterin, Trainerin, Coach und Texterin aktiv. Sie berät zusammen mit Sabine Krippl und ihrem Team Unternehmen bei der internen und externen Kommunikation und bildet Textcoaches aus.

 

 

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